Die Alternativen zum wirtschaftlichen Selbstmord

Ein paar Gedanken zum 8. März, zum Internationalen Frauentag 2022. Als historische Wurzel für die Entstehung des Internationalen-Frauentages am 8. März gelten die Proteste New Yorker Arbeiterinnen, die erstmals 1857 auf die Straße gingen und gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen und für gleichen Lohn demonstrierten.

Ein weiterer historisch ausschlaggebender Tag war der 8. März 1917 – nach russischem Kalender der 23. Februar. Es streikten in Petersburg Textilarbeiterinnen und Soldatenwitwen gegen den Krieg und für ihre Rechte und beeinflussten die bürgerliche Februarrevolution, bei der die Monarchie gestürzt wurde.

Es gibt zwei Muster: Demokratie und Nichtdemokratie

  • Wer glaubt, Fürsorge und Bildung für die Jüngsten in unserer Gesellschaft sei eine Familienangelegenheit, eine Frauenaufgabe, bestenfalls ein reproduktiver Beitrag, der die Wertschöpfung in Unternehmen störe, hat Wirtschaft nicht verstanden und hält sich noch in dysfunktionalen Bildern auf. 
  • Wer glaubt, Frauenpolitik sei eine Frauenangelegenheit, hat Wirtschaft nicht verstanden. Und Demokratie auch nicht. 
  • Wer glaubt, Frauenförderprogramme in Unternehmen werden gebraucht, weil Frauen Förderung benötigen, hat Wirtschaft nicht verstanden und sieht die patriarchalen Muster in Unternehmen nicht. Das behindert die weitere Demokratieentwicklung. 

Riane Eisler & das Partnerschaftssytem als gesellschaftliche Alternative zu dominanzgeprägten Systemen

Riane Eisler musste 1939 im Alter von acht Jahren aus Wien vor den Nazis fliehen. Gemeinsam mit ihren Eltern schafften sie es auf eines der letzten Schiffe nach Kuba. Die meisten ihrer Verwandet wurden Opfer des Holocaust. Nachdem Eisler in den Slums von Havanna aufwuchs und später in die USA emigrierte, widmete sie ihr Leben der Erforschung grundlegender schädlicher und fördernder Muster in Gesellschaften, deckte zahlreiche Fehlannahmen über die Natur des Menschen auf und entwickelte die Caring Economy als Alternative zu lückenhaften, dominanzgeprägten, autokratisch-patriarchalen Wirtschaftsideologien. Seit über 35 Jahren setzt sich die Sozialwissenschaftlerin und Kulturhistorikerin für den Partnerismus, ein fürsorgliches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, ein. Ihre Arbeit beinhaltet die Einsicht, dass Kapitalismus und Sozialismus überholte Ideologien sind. Aus der Frühindustrialisierung stammend halten diese Ideologien eine Ökonomie der Dominanz aufrecht. Die Fürsorge von Menschen und die Pflegearbeit wird hier der Frauenarbeit zugeschrieben, welche in patriarchalen Strukturen umsonst erledigt wird. Kindererziehung und Bildung werden nicht als produktive Arbeit, als essenzielle Grundlagen für eine funktionierende Wirtschaft erkannt. In beider Ökonomieverständnisse werden die begrenzten Ressourcen der Natur ignoriert. Es findet eine Ausbeutung der Natur statt, ohne sich um die Lebenserhaltungssysteme zu kümmern. Diese Ökonomien sind lückenhaft, deswegen dysfunktional und schädlich. 

Die Fürsorge ist menschlich.

„Wir müssen kritische Angelegenheiten ansprechen, die im alten Denken ignoriert wurden. Ein Ausgangspunkt ist die Abkehr vom geschlechtsspezifischen Wertesystem, das wir aus früheren Zeiten geerbt haben und das alles entwertet, was stereotyp Frauen zugeschrieben wird: Kindererziehung, Altenpflege und ein sauberes und gesundes Umfeld – einschließlich unseres Planeten. Mit anderen Worten, wir müssen uns mehr um die Fürsorge kümmern.“ Riane Eisler

 

“Natürlich kann man den Wert der Fürsorge nicht quantifizieren, aber man kann ihren wirtschaftlichen Wert quantifizieren. Nicht nur, dass das BIP Negatives als Positives einbezieht. Es verabsäumt, den wirtschaftlichen Wert der lebenserhaltenden Tätigkeiten zu berücksichtigen. Würde man den Wert der Fürsorge von Menschen in Haushalten mit einbeziehen, würde dieser zwischen 30 und 50 % des ausgewiesenen BIP ausmachen. Der nicht erfasste Wert der gesamten “unsichtbaren Wirtschaft” wird weltweit auf 10,8 Billionen Dollar geschätzt.” Riane Eisler

 

 

“Es ist wirtschaftlicher Selbstmord nicht in die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten zu investieren. Irgendwie gibt es immer Geld für Gefängnisse, für Waffen, für Kriege. Irgendwie gibt es nie genug Geld für die Fürsorge und Bildung von Kindern, für die Gesundheit der Menschen, für die Erhaltung einer sauberen und gesunden Umwelt. Investitionen in die Fürsorge und Bildung sind die besten Investitionen, die eine Nation tätigen kann. Fürsorgende Geschäftspolitik schafft nachweisliche Rendite.” Riane Eisler

 

Riane Eisler Die verkannten Grundlagen  der Ökonomie

Eislers erstes Werk „The Chalice and the Blade ” – “Kelch und Schwert“ wurde 1987 veröffentlich, über 500.000-mal verkauft und ist in 26 Sprachen erhältlich. Es brachte bahnbrechende neue Erkenntnisse über unsere kulturellen Ursprünge, über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Menschheit. 2007 wurde ihr Buch „The Real Wealth of Nation“ veröffentlich. Seit 2020 gibt es das Werk in Deutsch.  „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie – Wege zu einer Caring Economy“. Eisler entwickelte die Wirtschaftstheorie der Caring Economy, welche aus ihren zahlreichen interdisziplinären, kulturellen und historischen Arbeiten entstand und eine ganzheitliche Sicht auf Wirtschaft umfasst. 

 

„Statistische Studien belegen den Zusammenhang zwischen dem höheren Status der Frauen und dem wirtschaftlichen Erfolg des Landes sowie einer höheren Lebensqualität für alle.“ Riane Eisler 

Stereotype „weibliche“ Eigenschaften haben einen immensen Wert für die Gesellschaft und für die Wirtschaft. Eisler fordert einen Wandel hin zu Partnerschaftssystemen, die alte Denkmuster hinter sich lassen, in denen alles, was mit Gender zu tun hat, als „nur“ Frauenangelegenheiten betrachtet und ausgegrenzt oder ignoriert wird. Wir müssen anerkennen, dass stereotype „weibliche“ Eigenschaften allen Menschen innewohnen und dass diese Eigenschaften einen immensen Wert für die Gesellschaft und somit für die Wirtschaft haben. Gleichzeitig entstehen für die Verachtung oder Abwertung dieser Attribute immense Kosten, sowohl für Männer als auch für Frauen. 

Volkswirtschaften expandieren, wenn die nicht reduzierbaren menschlichen Bedürfnisse nach Fürsorge, Gesundheit und Bildung befriedigt werden. Wirtschaftspolitik kann nie ohne partnerschaftliche Familienpolitik, Bildungspolitik, Sozial- und Gesundheitspolitik gelingen. Dominanzgeprägte Muster zu überwinden, sind der Schlüssel zu nationaler Sicherheit, zu Frieden, zum Wohlstand für alle.

Ein Geschlecht einem anderen vorzuziehen, verschwendet wertvolle Humanressourcen und schränkt die Möglichkeiten für alle ein. Länder wie Schweden, Norwegen und Finnland belegen in den “World Economic Forum” Berichten über die globale Wettbewerbsfähigkeit Spitzenplätze, weil sie in den Schutz der Natur und in die Fürsorge und Bildung der Menschen investieren. Es ist kein Zufall, dass sie die geringsten geschlechtsspezifischen Unterschiede aufweisen, mit Frauen in den höchsten nationalen Führungspositionen. 

Die Pandemie hat drastische wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten ans Licht gebracht und die bereits bestehende Kluft zwischen den Geschlechtern bei den am meisten gefährdeten Menschen um 36 Jahre vergrößert. Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter zu machen und in die Gesundheit von Frauen und Mädchen zu investieren, wird ein entscheidendes Element für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sein. Ein Bericht des McKinsey Global Institute schätzt, dass Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter bis zum Jahr 2030 zu einem Anstieg des weltweiten BIP um 13 Billionen Dollar beitragen könnten. 

Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik ist Wirtschaftspolitik, Gesundheitspolitik ist Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik ist Wirtschaftspolitik, Klimapolitik ist Wirtschaftspolitik, Wirtschaftspolitik nicht in diesen Zusammenhängen gedacht und gemacht, ist keine. Das ist dann Un-Wirtschaftspolitik. 

Systeme sind von Menschen gemacht. Wir können Systeme ändern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Um Systeme zu ändern, müssen wir uns bewusst werden, dass es Alternativen gibt.

 

So wie Riane Eisler das Partnerschaftssystem und das Dominanzsystem als zwei grundlegende soziale Konfigurationen in Gesellschaften identifizierte, stellen Silke Hermann und Niels Pfläging den Beta-Kodex als Alternative zu hierarchischen Alpha-Unternehmen gegenüber. In beiden Forschungsfeldern bilden sie somit Alternativen, um schädliche Muster in Gesellschaften und Unternehmen zu überwinden. Immer basierend auf dem humanistischen Menschenbild, der Gesellschaft zugewandt, Demokratien stärkend.

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine ganzheitliche Sicht auf Wirtschaft 

“Wirtschaftliche Ungleichheit ist kein Alleinstellungsmerkmal des unregulierten Kapitalismus, sondern vielmehr ein generelles Merkmal von dominanzgeprägten Wirtschaftssystemen. Eigentlich ist nicht der Kapitalismus das Ungeheuer, sondern die ihm zugrunde liegenden dominanzgeprägten Überzeugungen, Strukturen und Gewohnheiten, die wir aus früheren Zeiten übernommen haben. Das Ausblenden von Fürsorge und Care-Arbeit in der etablierten Wirtschaftstheorie- und praxis hat verheerende Auswirkungen auf die Lebensqualität von Meschen, auf unsere natürlichen Lebensgrundlagen sowie auf die wirtschaftliche Produktivität, Innovationsfreude und Anpassungsfähigkeit an neue Bedingungen. Wir brauchen einen starken freien Markt, eine aufgeklärte Regierungspolitik, die der Arbeit, die sich um die Menschen und die Natur kümmert, Sichtbarkeit und Wert verleiht.” Riane Eisler 

Wir brauchen Unternehmen und Institutionen, die einem humanistischen Menschenbild verpflichtet sind, die echte Wertschöpfung zu betreiben wissen und robust mit dynamischen Veränderungen umgehen können. Dazu benötigen wir Organisationsdesigns und Prinzipien der Zusammenarbeit, die in das gemeinsame Wertschöpfen im positiven Wirkungskreis aller einzahlen – und damit auch in unsere Demokratien. 

 

Aus dem Sichtart-Kartenset 2022