Wirtschaftssektor Bildungsorte

Kann man schneller bilden? Und welche Hälfte bleibt dann liegen?

Kaum eine Branche leidet nicht unter dem Symptom “Fachkräftemangel”. Ob im Transport- und Energiesektor, im Gesundheitsbereich, im Finanz- und Dienstleistungswesen oder in der Tourismusbranche. (Ernst & Young, 2023). Die Not ist groß und sie ist kollektiv. Rund 100 Berufe stehen 2023 auf der Mangelberufsliste, hier gibt es pro Stelle weniger als 1,5 Arbeitssuchende. (Fachkräfteverordnung, 2023). Nun ja. Gleichzeitig sind um die 40% aller Jobs, in denen wir 2030 arbeiten werden, heute noch nicht erfunden. (OTS, A21Digital, 2019).

Die überflutete Aufmerksamkeit rund um die sogenannte „Digitale Transformation“, der hochgelobte technologische Fortschritt wird uns nicht weiterbringen, wenn wir nicht in den sozialen Fortschritt enorm investieren. Und wo sollten wir da beginnen? Wie wäre es im Kindergarten. Auch hier ist der Ruf nach Top-Profis laut.

Wer kennt diesen Slogan nicht: “Wir müssen die Kinderbetreuungsplätze ausbauen!” Doch so wird das nichts. Aktuell geht es weniger um einen Ausbau als um einen Umbau. Auch hier. Wer die Expert*innen der Zukunft sucht, der sollte hier beginnen.

Wer würde in einem Flugzeug mitfliegen, wenn statt eines Piloten ein wirklich sehr erfahrener Steward die Maschine steuert? (Fachkräftemangel) In Kindergärten geht das. Hauptsache, es ist irgendjemand anwesend. Das Fliegen kann man sogar sein lassen. Frühkindliche Bildung nicht. Denn sie ist keine freiwillige Leistung von lieben Menschen. Wenn man diese nicht qualitätvoll ermöglicht, ist der Schaden sehr groß. Wie wir es ja selbst erleben. (Ich will jetzt nicht in Flugzeugabsturz-Metaphern weiterdenken, aber dieser Crash hat hohe Verluste für unsere Demokratie und unsere Wertschöpfungspotentiale.)

Wer würde eine Wurzelbehandlung von einer Zahnärztin durchführen lassen, die ihren Job mittels Crashkurs gelernt hat? (Fachkräftemangel) Seltsamerweise ist das in den Kindergärten sogar eine politisch verkaufte Erfolgsgeschichte. Bücher anschauen, motorische Fähigkeiten üben, Gemeinschaftssinn stärken, … basteln halt, kann schnell mal wer lernen.

Wer würde sich die Haare auch von einem Hundefrisör schneiden lassen? (Fachkräftemangel) Lieber nicht, oder? Doch die hohe Kunst der Pädagogik kann jeder und jede, der/die schon mal mit einer Schere hantiert hat. Sind wir uns da sicher?

Können gleich viel Bäuer*innen doppelt so viele Äcker bestellen? Einfach schneller arbeiten, oder die Hälfte der Ernte liegen lassen?

Können gleich viel Pädagog*innen die elementare Bildungsaufgabe in mehreren Kindergärten meistern? Einfach die vorhandenen gut verteilen. Kann man schneller bilden? Und welche Hälfte bleibt hier liegen?

Wenn die Politik, wenn Unternehmen, wenn Medien, wenn wir als Gesellschaft die elementare Bildungsarbeit als einen der wichtigsten Grundbausteine einer starken Wirtschaft und gesunden Gesellschaft anerkennen, den Anspruch entwickeln, dass die Highperformance in diesen Orten wegweisend für unsere Zukunft ist, wenn es nicht darum geht, ob man sich gute Kindergärten als Familien leisten kann, sondern wenn klar, dass wir uns das als Gesellschaft für alle Kinder leisten wollen, weil es die beste Investition ist, … dann ist sehr viel zu tun, sehr viel möglich und müssen Prioritäten neu gesetzt werden.

Die überflutete Aufmerksamkeit rund um die sogenannte „Digitale Transformation“, der hochgelobte technologische Fortschritt wird uns nicht weiterbringen, wenn wir nicht in den sozialen Fortschritt enorm und viel mehr investieren.

Bildungseinrichtungen in Demokratien benötigen nicht mehr vom selben, sondern etwas ganz anderes. Das Bauen von mehr Kindergärten erzeugt mehr Fläche, aber nicht mehr Profis und wird das Grundproblem nicht lösen. Im Gegenteil – es wird unsere Wirtschaftskraft weiter schwächen. Damit hochqualifizierte Menschen sehr gerne und gut in Bildungsorten arbeiten, braucht es gänzlich andere Organisationsdesigns. Es braucht starke dezentrale Handlungsautonomie und Entscheidungsmacht in Kindergärten, starke Teamarbeit der Top-Profis, beste Möglichkeiten auf die Diversität der Kinder, der Familien, der gesellschaftlichen Herausforderungen eingehen zu können. Nur so kann Pädagogik wirken. Das humanistische Menschenbild muss sich in der Organisationsgestaltung widerspiegeln. Man kann top Bildungsarbeit nur dann garantieren, wenn sich die Organisation partnerschaftlich, hochdemokratisch und pädagogisch wertvoll verhält. Beste Bedingungen für wirkungsvolle Pädagogik, Anerkennung dieser Volkswirtschaftsleistung – auch aber nicht nur im Gehalt widerspiegelnd – ist der beste Motivator. Dann werden wieder Menschen kommen, die gerne ihren Beitrag leisten möchten. Sonst wird die Abwanderung weiter voranschreiten. Der Fachkräftemangel ist ein Symptom. Die Chance, die in ihm steckt, ist eine sehr große. Bildung braucht politisch verantwortliche Menschen, die wirken möchten, über ihre Zeit hinaus.

**** Bildung ist die Vorfreude auf sich selbst und andere. Bildung ist das fortwährende Ereignis der Menschwerdung. Bildung ist die Entfaltung unsere menschlichen Fähigkeiten. Elementare Bildungsorte sind Demokratiewerkstätten. Kindergärten als Orte für .…lernen lernen, forschen lernen, kritisch sein lernen, sich ein Urteil bilden lernen, Eigensinn pflegen lernen, Vielfalt schätzen und nutzen lernen, Unterschiede anerkennen lernen, Willen stärken, die Vorfreude auf die Zukunft lernen, eine liebende Grundhaltung zu Menschen lernen, emphatisch sein lernen, initiativ sein lernen, begeistern-können lernen, gestalten lernen, dran-bleiben lernen, etwas-erreichen lernen, etwas-weiter-versuchen lernen, fragen lernen, mehr-wissen-wollen lernen, Selbstbestimmung in Gemeinschaft lernen, mit Rückschlägen und Enttäuschungen umgehen lernen, Zugehörigkeit erfahren, sich-ausdrücken lernen, verstehen und verstanden werden lernen, sich-mitteilen lernen, Zusammenhänge erkennen lernen, Probleme verstehen lernen, Problemlösungsfreude entwickeln lernen, streiten lernen, sich um Klärung bemühen lernen, sozial-sein lernen, sein und werden, u.s.w.us.f. ****

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