“The Wealth of Nations” von Adam Smith (1767) gilt als eines der ersten einflussreichsten Erklärungen für die Funktionsweise der modernen Wirtschaft. Ein Grundlagenwerk, dass zur Entstehung der modernen Theorien des Kapitalismus prägend beitrug. Als Moralphilosoph war Smith überzeugt, dass Freiheit und Wohlstand gleichzeitig erreicht werden. Er wollte den Aufbau einer stabileren und gerechteren Gesellschaft voranbringen. Er wollte, dass die Interessen der Allgemeinheit wahrgenommen werden und der Adel, das Lehenssystem, der Feudalismus abgeschafft wird.
Doch abgesehen davon, was Adam Smith damals wollte und abgesehen davon, was die Interpreten aus seinen Schriften machten und dadurch auch sehr viel über ihre eigene Interpretationsgrundlagen und durchaus dominanzgeprägten Denkstrukturen aussagen: Das Konzept und darauf aufbauende und folgende Wirtschaftskonzepte lassen wesentliche wirtschaftliche Bereiche aus, ignoriere diese bis heute. Das hat zu Dysfunktionalitäten geführt. Die Folgen betreffen uns alle. Armut, Ausbeutung, Ungerechtigkeiten, Umweltzerstörung, Kriege, Klimakrise….
Wir können feststellen: Es geht anders viel besser und es ist viel zu tun. Oder wie es Riane Eisler formuliert: „Uns wurden aus der Vergangenheit dysfunktionale Wirtschaftsmodelle und Bewertungsmaßstäbe aufgebürdet, die wiederum zu dysfunktionalen Praktiken und einer dysfunktionalen Politik geführt haben. Hauptursachen für scheinbar unlösbare Probleme wie Armut, Überbevölkerung und Umweltzerstörung.“ Wenn wir also über die aktuelle Wirtschaft reden, ist es eine lückenhafte Wirtschaft, eine Unwirtschaft.
2007 kam das Werk “The Real Wealth of Nations”, von der Kulturhistorikerin und Systemwissenschafterin Riane Eisler auf den Markt, voll mit transnationalen interdisziplinären Froschungsergebnissen. Das darin skizzierte ganzheitliche Wirtschaftskonzept der Caring Economy umfasst alle Beiträge der Menschen und unserer Natur für eine starke und gesunde Wirtschaft und Gesellschaft. Die Caring Economy geht über den Markt hinaus, betrachtet Ökonomie aus einer umfassenderen, ganzheitlichen Perspektive. Die bislang ausgeblendeten Wirtschaftsfelder private Haushalte, natürliche Ressourcen, Gemeinwesenarbeit werden in das aktuell lückenhafte Bild von Wirtschaft integriert. Die Fürsorge und Pflege für die Menschen, die frühkindliche Entwicklung und Bildung – Wirtschaftssektoren in denen vorwiegend Frauen tätig sind, Wirtschaftssektoren, die kaum anerkannt bzw. nicht gewertet werden – sowie die Fürsorge für den Planeten, unsere Natur werden hier Sichtbarkeit und Wert verliehen. In einer Wirtschaftswelt in der Bäume erst nach der Abholzung einen wirtschaftlichen Wert erzeugen, fehlt der Blick, dass wir ohne lebende Bäume gar nicht in der Lage wären, dies zu tun. In einer Wirtschaftswelt in der es immer Geld für Banken und Waffen gibt aber nie genau für die frühkindliche Fürsorge und elementare Bildung für unsere allerjüngsten in unsere Gesellschaft, in der das Geld für Pflege um der Würde gerecht zu werden knapp ist, in der die Investitionen in menschliche Fähigkeiten nicht im Fokus stehen, in einer Wirtschaftswelt in der der Mensch dem Markt dient und nicht der Markt den Menschen, in dem die Verfügungsmasse Mensch gehandelt wird, in der ein hoher Statuts der Frauen nicht als Erfolgsfaktor erkannt wird, ist eine Wirtschaftswelt oder Un-Wirtschaftswelt, die entkoppelt unsere demokratischen Ausrichtung und Menschenrechte agiert und deren Kernaufgaben von Wirtschaft verloren hat.
Wie die Schriften von Adam Smith die „unsichtbare Hand des Marktes“ geprägt haben, so lenkt das Konzept der Caring Economy den Blick auf die noch „unsichtbare und essentielle Seite der Ökonomie“.
2019 hat das Werk „The Real Wealth of Nations“ durch den Büchern Verlag mit der Übersetzung von Ulrike Brandhorst mit dem Titel „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie, Wege zu einer Caring Economy“ den Sprung in die Deutsche Sprachwelt geschafft.
Elisabeth Sechser hat exklusiv für die Feministische Buchwoche der BücherFrauen Riane Eisler zu Ihrem Buch die „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie – Wege zu einer Caring Economy“ interviewt und hat diese am 11. Mai 2023 in einer D-A-CH Onlinelesung mit drei Expertinnen gemeinsam gestaltet.
Die Arbeitsmarktexpertin Iris Appiano Kugler, die Wirtschaftsexpertin Ina Praetorius und die Wissenschaftlerin Jeannette Alt haben aus dem Buch “Die verkannten Grundlagen der Ökonomie” vorgelesen und ihre Perspektiven und Expertisen dazu eingebracht.
„Irgendwie gibt es immer Geld für Gefängnisse, für Waffen, für Kriege. Irgendwie gibt es nie genug Geld für die Betreuung und Bildung von Kindern, für die Gesundheit der Menschen, für die Erhaltung einer sauberen und gesunden Umwelt. Investitionen in die Pflege und Bildung von Menschen sind die besten Investitionen, die eine Nation tätigen kann. Es ist wirtschaftlicher Selbstmord nicht in die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten zu investieren.“ Riane Eisler
Riane Eisler ist Kulturhistorikerin, Systemwissenschaftlerin, Soziologin, Anwältin, Rednerin und Autorin. Ihre innovativen Denkanstöße und Ergebnisse transnationaler und interdisziplinärer Forschung für einen Wandel hin zu einer Caring Economy, hinzu Parntnerismus wurden von zahlreichen Wissenschaftler*innen und Sozialaktivist*innen weltweit aufgegriffen. Eisler hat auf die Frage nach den Ursachen der Probleme unserer Zeit eine klare Antwort: An der Wurzel jeder Ökonomie, die Ungleichheit, Armut und Zerstörung produziert, sind Strukturen, Narrative, Familien- und Beziehungsmuster in einer Gesellschaft, die den Status der Frau schwächt, die die essenzielle frühkindliche Fürsorge- und Bildungs-Arbeit auf der politischen Agenda nicht priorisiert und die den Schutz unserer Mitwelt weiter ignoriert. Jede progressive und nachhaltige Ökonomie, sei es eine Gemeinwohl- oder eine Postwachstumsökonomie, muss deswegen zuallererst diese Bereiche wieder in das ökonomische Denken integrieren – sonst kann es keine Caring Economy geben. Aber wie ist so ein Wandel gesellschaftlich umsetzbar? Welche Bestrebungen braucht es auf politischer wie auf individueller Ebene?
Ausschnitte der Onlinelesung des Buches „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie“
Hier ist Elisabeth Sechser im Gespräch mit Riane Eisler über ihr Buch “Die verkannten Grundlagen der Ökonomie – Wege zu einer Caring Economy”.
Die Expertinnen, die bei der D-A-CH Onlinelesung dabei waren:
Mag.a Iris Appiano Kugler, M.A. ist Juristin und hat einen Master in Gender Politik und feministischer Forschung. Sie war 10 Jahre lang Kommissionsmitglied im Menschenrechtsbeirat Wien, Schwerpunkt Gender. Seit 1995 ist sie im Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) Gleichstellungsbeauftragte mit einer Unterbrechung von 2011 – 2019 als Personalchefin. Seit 2019 leitet sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik für Frauen in der Bundesgeschäftsstelle des AMS.
Ina Praetorius, Dr. theol., *1956 in Karlsruhe/D, Studium der Germanistik und evangelischen Theologie in Tübingen, Zürich und Heidelberg, Promotion im Fach Sozialethik zum Menschen- und Frauenbild in der Ethik. Lehraufträge an verschiedenen Universitäten, zahlreiche Buchpublikationen, tätig als freie Autorin und Referentin, seit 1987 wohnhaft in der Ostschweiz, verheiratet, Mutter einer Tochter, Grossmutter. 2015 Gründung des Think Tank „Wirtschaft ist Care“ in St. Gallen. Neuestes Buch: Ina Praetorius, Uta Meier-Gräwe, Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert, Ostfildern (Patmos) 2023, www.inapraetorius.ch
Film AT Wirtschaft ist Care
Film EN Economy is Care
Jeannette Alt, Dr. rer. nat., *1948, ist Naturwissenschaftlerin und hat 15 Jahre lang fachübergreifend in der Medizin und Biologie Grundlagenforschung betrieben. Nach der Habilitation verließ sie die Universität, um in einem biotechnologischen Startup Peptidpharmaka zu entwickeln. Durch einen Wechsel in die pharmazeutische Industrie wagte sie den Sprung in die Praxis und war fast 25 Jahre lang für Entwicklung und Marketing von Produkten für die Frauengesundheit zuständig. Seit 2013 arbeitet sie als Beraterin für die pharmazeutische Industrie. Darüber hinaus ist sie Autorin Gebärmütter der Nation, 2020, Büchner Verlag und Herausgeberin von Fachbüchern und Aufsätzen. Die Schwierigkeiten einer politisch aktiven Mutter auf der »Karriereleiter« sind ihr aus eigener Erfahrung vertraut.
Österreichische Initiative: fair sorgen! Wirtschaft fürs Leben
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Sichtart-Artikel “Die Alternative zum wirtschaftlichen Selbstmord”