Mary Follett

Die Grundlage meiner Arbeit bildet die Humanistische Organisationslehre. Mary Follett (1868-1933), ihre Begründerin, war überzeugt, dass Führungsarbeit der aller größte Hebel für die Entfaltung des Potenzials von Menschen und Organisationen darstellt und auch zum Fortschritt der Demokratie und unserer Gesellschaften insgesamt beitragen muss. Diese verantwortungsvolle Organisationsgestaltung lässt die Vielfalt unseres Denkens und Handelns direkt, wertschöpfungsbefördernd und demokratiestärkend in die gemeinsame Arbeit einfließen.”

Elisabeth Sechser

Mary Follett, die Pionierin der demokratisch-dezentralen Unternehmensführung legte als Sozialwissenschaftlerin, Unternehmensberaterin und Forscherin bereits vor über hundert Jahren die Grundsteine für das, was wir heute agiles Arbeiten in einer modernen Arbeitswelt nennen.

„Ich höre mehr Gerede über Zusammenarbeit als über irgendetwas anderes. Aber warum bekommen wir sie dann nicht? Zum einen ist das System der Organisation in einem Betrieb oft so hierarchisch, so auf- und absteigend, dass es fast unmöglich ist, für gegenseitige Beziehungen zu sorgen. Der Begriff der horizontalen Autorität ist noch nicht an die Stelle der vertikalen Autorität getreten. Wir können jedoch im modernen Business nicht erfolgreich sein, indem wir immer eine Leiter der Autorität auf- und abwärts laufen.“

Alle Zitate auf dieser Seite stammen von Mary Follett

Mary Follett war eine große Denkerin, praktische Philosophin, Aktivistin, Managerin, Dozentin, Autorin und Lehrerin ihrer Zeit, mit einem erstaunlich umfassenden Werk. Follett erforschte und entwickelte eine Lehre, die den Fokus auf selbstorganisierte Zusammenarbeit, gemeinsames Wertschöpfen und integrativ-partizipative Führungsarbeit legt, sie sah die Organisation als “soziales System”. Anders als ihre damaligen Kollegen konzentrierte sie sich weder auf Konzerne noch auf die Fabrikproduktion, sondern kam über ihre langjährige Tätigkeit für das Gemeinwesen und die Bildungs- und Berufsberatung in diverse Wirtschaftsunternehmen und erforschte dort die Hindernisse und Grundlagen für erfolgreiches Arbeiten. Follett war sowohl eine Umsetzerin als auch eine Organisationstheoretikerin und vermittelte zwischen Sozialer Arbeit und Management. Ihre politischen und beratenden Tätigkeiten im und für das Gemeinwesen und für Wirtschaftsunternehmen belegen ihren Einfluss auf die Praxis. Sie als die legitime Begründerin der humanistischen Organisationslehre und Unternehmensführung zu nennen, ist nur angemessen.

“Eine große Organisation ist eine Ansammlung lokaler Gemeinschaften. Individuelles und institutionelles Wachstum werden dann maximiert, wenn diese Gemeinschaften höchstmöglich selbstverwaltet sind.”

Mary Parker Follett lebte von 1868 – 1933. Aufgewachsen in Massachusetts, schloss sie 1898 ihr Studium der Wirtschaft, Regierung, Jura und Philosophie am Radcliffe College, dem damaligen Frauenzweig von Harvard, mit summa cum laude ab. 1908 war sie Vorsitzende des Komitees der Städtischen Frauenbewegung, später Mitglied des Massachusetts Ausschuss für Mindestlöhne und wurde 1917 Vizepräsidentin der Nationalen Vereinigung der Gemeindezentren. In ihrer langjährigen Tätigkeit in der Gemeinwesenarbeit in Boston setzte sie sich für Lerngruppen, Bildungszentren und das Anerkennen und Nutzen von Diversität ein. Über die Gemeinwesenarbeit kam sie in viele Wirtschaftsunternehmen. Mary Follett war eine renommierte Unternehmensberaterin, Organisationsforscherin und fester Bestandteil der intellektuellen Szenen an der Ostküste. Trotz ihrer zahlreichen wissenschaftlich anerkannten Arbeiten blieb ihr zur damaligen Zeit ein Lehrstuhl verwehrt. Sie hinterlässt uns die ersten fundierten und bis heute noch aktuelle Grundlagen für agile, selbstorganisierte Arbeit.

Die Grundlage ihrer Lehre: Selbstbestimmung und gleichrangige Zusammenarbeit

Follett erkannte, dass die Wertschöpfung von Organisationen abhängig von der Produktivität der “Beziehung der Gegenseitigkeit” zwischen Menschen innerhalb von und zwischen Gruppen ist.

Ein Individuum formt die Arbeit des Teams, dem es angehört, und gleichzeitig formt das Team das Individuum. Unter diesem Aspekt betrachtet, liefern alle stattfindenden Interaktionen Wachstumspotential. Follett erforschte, dass Gruppen erfolgreicher sind, wenn sie ihre Aufgaben selbst bestimmen können und in Netzwerkstrukturen zusammenarbeiten, wenn diese Gruppen die Vielfalt ihres Denkens und Handelns direkt in die gemeinsame Arbeit einbringen. Vielfalt nutzen, Konflikte nutzen und integrieren, gemeinsame Ziele durch co-aktive Macht, durch eine geteilte Verantwortung aller Mitglieder erreichen, gehörten zu ihren wichtigsten Thesen.

Kollektive Verantwortung und dezentrale Verantwortung sind Teile derselben Sache. Wenn ich die kollektive Verantwortung betone, denken die Leute manchmal, dass ich nicht an die Dezentralisierung glaube. Aber ich kenne niemanden, der mehr an Dezentralisierung glaubt als ich. Ich glaube allerdings, dass kollektive Verantwortung und dezentrale Verantwortung Hand in Hand gehen müssen; mehr noch, ich denke, sie sind Teile derselben Sache.

Mary Follett und die drei Arten von Führung

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt sie, dass es in jeder Organisation drei Arten von Führung gibt:
die Führung der Persönlichkeit: Charisma
die Führung der Funktion: Könnerschaft, das Beherrschen seines Handwerks
die Führung der Position: Hierarchische Führung

Für starke Wertschöpfung muss die Könnerschaft, das Beherrschen des Handwerks im Vordergrund stehen, war eine starke These von ihr. Immer jene führen, die das Wesentliche einer Erfahrung erfassen können. Allein die gemeinsame Führungsarbeit in der Wertschöpfungsstruktur entscheidet über Erfolg.

“That is always our problem, not how to get control of people, but how all together we can get control of a situation.”

Die gemeinsame Führungsarbeit in der Wertschöpfungsstruktur entscheidet über Erfolg.

Das Teilen von Verantwortung, das gemeinsame Erreichen von Zielen, das Vermehren von Macht hole die Potenziale hervor, die Organisationen und Gesellschaften in sich tragen. Das Miteinander-füreinander-leisten. Follett war eine der ersten und lange Zeit einer der wenigen, die die Idee des Organisationskonflikts in die Managementtheorie integrierte. Sie glaubte, dass Konflikte, anstatt Kompromisse zu machen, tatsächlich eine Gelegenheit für Menschen sein könnten, innovative Lösungen zu entwickeln, die sie allein nicht hätten entwickeln können. Auf diese Weise förderte sie den Gedanken der Gegenseitigkeit innerhalb von Organisationsstrukturen.

In einem Aufsatz „Macht“ von 1924 prägte Follett die Begriffe „Macht-über“ und „Macht-mit“, um Zwangsgewalt von partizipativer Entscheidungsfindung zu unterscheiden, und zeigte, wie „Macht-mit“ größer sein kann als „Macht-über“.

“Wir sollten lernen, zwischen verschiedenen Arten von Macht zu unterscheiden. Es scheint mir, dass, während Macht normalerweise Macht-über bedeutet, also die Macht einer Person oder Gruppe über eine andere Person oder Gruppe, es möglich ist, den Begriff von Macht-mit zu entwickeln, einer gemeinsam entfalteten Macht, einer mitwirkenden, nicht einer auf Zwang beruhenden.“

Das Lernen war für Mary Follett eine kontinuierliche, grundlegende demokratische Lebensaufgabe

Lokale Gruppen und Netzwerke spielten hierfür eine ausschlaggebende Rolle, diese ermöglichten durch das gemeinsame Lernen, durch die Auseinandersetzung im Alltag, Diskurse und Konfliktlösungen, dass wichtige demokratische Fähigkeiten erworben werden können.

“Einigung, nicht Einheit, muss unser Ziel sein. Wir erreichen Einigung nur durch Vielfalt. Unterschiede müssen integriert, nicht vernichtet oder absorbiert werden. Jeder Unterschied, der in eine größere Konzeption einfließt, nährt und bereichert die Gesellschaft. Jeder Unterschied, der ignoriert wird, nährt sich von der Gesellschaft und korrumpiert sie schließlich. Der tiefere Grund für das Studium der Gruppendynamik ist, dass niemand uns Demokratie geben kann, wir müssen Demokratie lernen. Demokrat zu sein bedeutet nicht, sich für eine bestimmte Form der Gesellschaft zu entscheiden, sondern zu lernen, wie man mit anderen Menschen zusammenlebt.” 

Ich bin Teil des internationalen BetaCodex Network, der ersten Bewegung der Organisationswissenschaft, die entschieden und bewusst in Follettianischer Denkweise, ihren Prinzipien und ihrer Forschungstradition verankert ist und vielfältige Disziplinen, vielgestaltige Forschungsansätze, Theorieentwicklung und Praxis integriert. Das BetaCodex Network ist die erste Bewegung der Organisationswissenschaft, die entschieden und bewusst in Follettianischer Denkweise, ihren Prinzipien und ihrer Forschungstradition verankert ist.

Für Follett ist organisationale Führung nicht nur für wettbewerbsfähige Unternehmen, gemeinnützige oder öffentliche Organisationen relevant, sondern auch für die umfassendere Frage menschlicher Regierungs-formen und des gesellschaftlichen Fortschritts in einer freien, demokratischen Welt. Wir teilen Folletts Überzeugung mit Leidenschaft, dass zeitgemäße Führung von Organisationen der aller größte Hebel für die Entfaltung des Potenzials von Menschen und Organisationen darstellt, und dass Führung auch zum Fortschritt der Demokratie und unserer Gesellschaften insgesamt beitragen muss.

Der Beta-Kodex besteht aus 12 Prinzipien, für partnerschaftliche Zusammenarbeit in einer vernetzen Organisation. Er berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen auf wirkungsvolle Zusammenarbeit, Lernen und Selbstbestimmung und ermöglicht selbstorganisierte Teamarbeit in agilen Strukturen.

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